Der letzte Rittmeister

Bergengruen, Werner,
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
Verfasser Bergengruen, Werner Wikipedia
Systematik B - Belletristik Allgemein
Schlagworte Roman, Russland, Zweiter Weltkrieg, 1. Weltkrieg, Diktatur, Baltikum, Lettland, baltische Literatur, Emigration - innere, Widerstand - geistiger
Verlag Nymphenburger Verlagshandlung
Umfang 367 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Werner Bergengruen
Annotation Sorgfältig sonnenverbrannt mit Bergengruen
Veröffentlicht am 25.07.2015 | Lesedauer: 3 Minuten
Die Kolumne von Joseph Wälzholz
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Es gibt praktisch nichts im Leben, was dem Kolumnisten schwerer fällt, als Tilman Krause zu widersprechen; aber in einer Sache muss es sein. Der Feuilletonist kritisierte neulich (in der Literarischen Welt vom 30. August) den Autor Werner Bergengruen, der laut einer „Spiegel“-Umfrage zu den drei beliebtesten Schriftstellern zählt. Diese Umfrage fand allerdings schon 1967 statt, und gefragt wurden auch bloß westdeutsche Studenten. Der Feuilletonist also schrieb: „Bergengruen wich nach 1945 aus in ‚Geschichten aus der Zeit, als der Teufel noch ein kleiner Junge war‘, wie er einen seiner späten Helden, der auch noch ‚Der letzte Rittmeister‘ heißt, sagen lässt. Flucht in die Historie!“

Nun ist Kritik an und für sich natürlich immer super, aber die hier zitierte dünkt den Kolumnisten doch einen Tick zu hart, denn grade „Der letzte Rittmeister“ ist wirklich allererste Sahne.

Die Rahmenhandlung dort ist folgende: Der letzte Rittmeister möchte eine Weltgeschichte in Form von Anekdoten schreiben. Leider verplempert er seine Lebenszeit mit dem Sammeln des Materials und stirbt, ohne diese Weltgeschichte geschrieben zu haben. Also rekonstruiert der Ich-Erzähler aus seiner Erinnerung die Storys, die der Rittmeister ihm so erzählt hat. Der Beginn der einzelnen Geschichten ist immer sehr spannend, nur enden sie in der Regel völlig pointenfrei. Das ist für die Leser gewöhnungsbedürftig, aber ganz bestimmt hatte zumindest der Autor bei der Niederschrift einen Riesenspaß.

Werner Bergengruen hat seine quatschig-genialische Rahmenhandlung sogar zu einer Rittmeister-Trilogie ausgeweitet. Auf das Buch „Der letzte Rittmeister“, das 1952 erschien, folgte 1954 das Buch „Die Rittmeisterin“. Dort trifft der Ich-Erzähler die Alleinerbin des Rittmeisters und plaudert mit ihr über dies und jenes. Die Weltgeschichte in Anekdoten kommt nur noch am Rande vor, ersichtlich hatte Bergengruen da einfach keinen Bock mehr auf Novellen. 1962 folgte dann aber dennoch ein dritter Teil.

Wenn man nun fragte, wovon konkret die Rittmeister-Trilogie handelt, so müsste man sagen: Es geht schlechterdings um alles. Der Ton, der hier angeschlagen wird, ist ebenso elegisch wie lustig, alles hängt mit allem zusammen, der Erzähler kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, dabei ist trotzdem die gesamte Trilogie fein durchkonstruiert, die Anspielungen und Querverweise tauchen immer genau im richtigen Moment auf, alles ist gleich abseitig. Kurz gesagt: Es handelt sich zwar nicht um eine böhmische Rhapsodie, aber um eine baltische. Natürlich erinnert das an ein paar literaturhistorische Vorbilder, die man getrost im Anonymen belassen darf, denn nichts ist abgeschmackter, angeberischer und fader als die Germanistenfloskel „erinnert an“.

Ein Höhepunkt im „Letzten Rittmeister“ ist, wie über viele Seiten hinweg diese goetheschen Verse erörtert werden: „Solang man nüchtern ist,/ gefällt das Schlechte;/ wie man getrunken hat,/ weiß man das Rechte.“ Hierauf folgt eine der herrlichsten und besoffensten Interpretationen der Weltliteratur. Überhaupt schwingt Bergengruen sich bisweilen zu einer hochsympathischen Gehässigkeit auf.

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Der beste Satz lautet: „Ein Viersitzer neuesten Modells, unnötigerweise hupend, enthielt außer dem Fahrer drei sorgfältig sonnenverbrannte, elegant, jedoch ferienhaft locker gekleidete Damen; mindestens eine von ihnen mag eine Psychotherapeutin gewesen sein, zum wenigsten in Amateursweise.“ Tatsächlich hat sich dem Bergengruen die Rittmeister-Trilogie unter der Hand zu einer halben Autobiografie ausgewachsen. Irgendwie sind der Autor, der Erzähler, der Rittmeister und die Rittmeisterin miteinander teilweise identisch (falls es technisch möglich ist, nur teilweise miteinander identisch zu sein).

Es ist ein bisschen schade, dass Bergengruen heutzutage hauptsächlich von Leuten gut gefunden wird, die Königsberg wieder zurückhaben wollen. Also, obwohl am Ende des ersten Teils der Rittmeister tot ist und am Ende des zweiten Teils dann auch die Rittmeisterin sowas von tot ist, hat Bergengruen überraschenderweise noch einen über 700 Seiten langen dritten Teil mit dem Titel „Der dritte Kranz“ nachgelegt. Dieser dritte Teil ist, bei Gott, überhaupt der geilste!